TALKING POINT auf IBI
Was ist mit CEN denn los?Das Europäische Komitee für Normung CEN (Comité Européen de Normalisation) ist eine nicht gewinnorientierte Organisation, deren Aufgabe es ist, die europäische Wirtschaft im globalen Handel zu fördern, das Wohlbefinden der Bürger zu gewährleisten und den Umweltschutz voranzutreiben. CEN ist eine der drei großen Normungsorganisationen in Europa und ist in allen technischen Bereichen verantwortlich für die europäische EN-Normen außer in der Elektrotechnik und der Telekommunikation. Für diese Bereiche sind CENELEC (Comité Européen de Normalisation Électrotechnique) und ETSI (European Telecommunications Standards Institute) zuständig.
EN-Normen werden auch aus ISO-Normen entwickelt. In dem sogenannten Harmonisierungsprozeß der beiden wird der ISO-Norm der Anhang ZA hinzugefügt. Dieser macht aus der ISO-Norm eine EN ISO-Norm. Dieser Prozeß ist zwar langwierig, führt aber zu einem klaren Ergebnis, denn der Anhang beschreibt, welcher Teil der ISO-Norm benutzt werden soll, um im Rahmen einer EU-Direktive die sogenannte „Konformitätsvermutung“ aussprechen zu können.
Wendet ein Hersteller im Rahmen seiner Konformitätsbewertung einen EN ISO-Standard an, so sichert er sich rechtlich gegen seinen Kunden ab. Die Konformitätsbewertung ist ein vom Hersteller durchgeführter Vorgang, mit dem er nachweisen kann, daß bestimmte technische Anforderungen an sein Produkt erfüllt worden sind und somit der Erfüllung einer Direktive Genüge getan wurde.
Dieses Konstrukt wird auch zum Nutzen und Frommen der Hersteller im Rahmen der Sportbootdirektive (RCD) benutzt.
Allerdings scheint CEN jetzt aus dem Ruder zu laufen und einen neuen Kurs einzuschlagen.
Als Beispiel für die Kursänderung möchte ich hier den neuen Anhang der EN ISO 25197:2020/A11:2023 „Kleine Wasserfahrzeuge - Elektrische/elektronische Regelungssysteme für Steuerung, Schaltung und Antrieb“ nennen, der aus Urheberrechtsgründen hier nicht dargestellt werden darf. In ihm befindet sich nunmehr ein zweigeteilter Anhang ZA, dargestellt als Tabelle ZA.1 und Tabelle ZA.2. Andere Standards werden gleichermaßen folgen.
Tabelle ZA.1 ist inhaltlich das, was Marktüberwachung, Hersteller und auch wir als Benannte Stelle gewohnt sind.
Die Tabelle ZA.2 ist jedoch neu. Letzterer gilt meine Sorge. Man beachte bitte die Überschrift der Tabelle "Anwendbare Normen, die die Konformitätsvermutung gemäß diesem Anhang ZA begründen".
In dieser Tabelle finde ich überraschenderweise:
- Mehrere nicht harmonisierte ISO-Normen
- eine ASTM-Norm (aus den USA)
- Mehrere nicht harmonisierte IEC-Normen
- Die meisten Normen liegen außerhalb des Geltungsbereiches der RCD.
Meine Bedenken sind:
- Wie können nicht-harmonisierte und US-Normen als Teil einer harmonisierten EN ISO-Norm verwendet werden?
- Warum verbleiben diese Normen nicht nur, wie bisher üblich, als normative Verweise im Hauptteil der Norm, sondern werden nun auch in Anhang ZA.2 zwecks Nachweises der Konformitätsvermutung wiederholt?
- Sind alle im Rahmen der RCD tätigen Überwachungsbehörden und ernannten Zertifizierer wirklich kompetent genug, um Produkte nach allen aufgelisteten IEC-Normen sowie nach ISO 48921:2016, ISO 48922:2013, ISO 48923:2016, ISO 48924:2013, ISO 167502:2012, ISO 167503:2012 und schließlich ASTM B117:2016 zu prüfen?
- Wie tief soll den die Prüfung eines Produktes noch gehen, wenn sie bereits den Geltungsrahmen der RCD verläßt?
- Wie läßt sich ein derart komplexer Prüfprozeß kostenmäßig überhaupt noch darstellen?
Mir scheint, daß das Bewertungsverfahren für ein kleines RCD-Anhang-II-Gerät, welches unter die Norm EN ISO 25197:2020/A11:2023 fällt, in Zukunft weitaus teurer ist als die Bewertung eines ganzen Wasserfahrzeugs. Außerdem wird durch diesen neuen Anhang die segensreiche Einrichtung der Konformitätsvermutung ad absurdum geführt und folglich weniger angewendet werden.
Das ist zum Nachteil der Hersteller.